Nach einem ruhigen Start ins Semester hat die
Uni jetzt so richtig angefangen. An meinem ersten richtigen Unterrichtstag
fühlte ich mich wie in einer Parallelwelt: dreißig Germanistikstudenten, das
gibt’s doch nicht? In der ersten Woche reichen die Sitzplätze im Seminarraum
nicht aus, die verspäteten Teilnehmer müssen mit der Fensterbank vorlieb nehmen
und ich staune nicht schlecht. Wo kommen sie alle her?
Es sieht ganz danach aus, dass Germanistik in
Deutschland die Stelle einnimmt, die in den Niederlanden vom Psychologiestudium
gefüllt wird. Wer nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll, verschiebt
die Entscheidung auf später und studiert erst einfach mal Germanistik. Kann ja nicht
schaden.
Dabei ist die Germanistik tatsächlich eine
sehr ernstzunehmende Wissenschaft. So erzieht das Institut für Germanistik
zumindest seine Studenten, die mit lateinischen Begriffen, fünfsilbrigen
Wörtern und tiefgründigen Literaturanalysen um sich werfen, als wären sie
Zwarte Pieten. Ich sitze daneben und fühle mich strohdoof. Meine Gedanken hören
sich ungefähr so an: „Wie bitte? Was meinst du? Ach so. Der Protagonist ist
traurig. Ja, genau. Das hätte ich dir auch sagen können und zwar in einer
Sprache, die wir alle verstehen.“
Mittlerweile habe ich den Dreh raus und kratze
mich nicht länger ständig an der Stirn, aber in den ersten Wochen machte ich
durchgehend große Augen. Irgendwann schüchtern die langen Wörter einfach nicht
mehr ein, denn irgendwann versteht man: Diese Studenten wissen wirklich nicht
mehr als ich, sie haben nur gelernt, ihre Unwissenheit in Pseudo-Latein zu
verpacken.
Als ich mit meinem Referat dran war, musste ich
mir richtig Mühe geben, den Figuren keine schrägen Spitznamen zu verpassen, so
wie ich es zu Hause immer mache. Ich habe mich selbst dabei ertappt, wie mein
Kopf „Erec, Ritter des Artushofes“ durch „der Typ mit seinem Zwergproblem“
ersetzen wollte.
In den Niederlanden wurde mir oft genug
gesagt, dass ich zu informell spreche. Da war es mir aber in den meisten
Situation erlaubt, auch wenn die Dozenten manchmal geseufzt haben. In Deutschland
traue ich mich nicht. Hier sind alle so unfassbar wissenschaftlich, fast
elitär. Das passt irgendwie gar nicht zu der Feststellung, dass Germanistik ein
Studium für die unverbesserlich Faulen und schrecklich Unmotivierten ist, aber
es ist trotzdem so.
Ich habe bis jetzt aber jede Sitzung
überstanden (inklusive Referat) und es geht mir gut. Der erste Monat war ganz
schön schnell vorbei. Weniger als drei Monate übrig. Die Zeit läuft, halt sie
auf…
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Zwarte Pieten gehören übrigens zum niederländischen Sinterklaas-Fest. Wenn ihr die Anspielung nicht versteht, es gibt einen Wikipedia-Artikel über diese Tradition. ;)
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