13.11.2013

So unfassbar wissenschaftlich

Nach einem ruhigen Start ins Semester hat die Uni jetzt so richtig angefangen. An meinem ersten richtigen Unterrichtstag fühlte ich mich wie in einer Parallelwelt: dreißig Germanistikstudenten, das gibt’s doch nicht? In der ersten Woche reichen die Sitzplätze im Seminarraum nicht aus, die verspäteten Teilnehmer müssen mit der Fensterbank vorlieb nehmen und ich staune nicht schlecht. Wo kommen sie alle her?

Es sieht ganz danach aus, dass Germanistik in Deutschland die Stelle einnimmt, die in den Niederlanden vom Psychologiestudium gefüllt wird. Wer nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll, verschiebt die Entscheidung auf später und studiert erst einfach mal Germanistik. Kann ja nicht schaden.

Dabei ist die Germanistik tatsächlich eine sehr ernstzunehmende Wissenschaft. So erzieht das Institut für Germanistik zumindest seine Studenten, die mit lateinischen Begriffen, fünfsilbrigen Wörtern und tiefgründigen Literaturanalysen um sich werfen, als wären sie Zwarte Pieten. Ich sitze daneben und fühle mich strohdoof. Meine Gedanken hören sich ungefähr so an: „Wie bitte? Was meinst du? Ach so. Der Protagonist ist traurig. Ja, genau. Das hätte ich dir auch sagen können und zwar in einer Sprache, die wir alle verstehen.“

Mittlerweile habe ich den Dreh raus und kratze mich nicht länger ständig an der Stirn, aber in den ersten Wochen machte ich durchgehend große Augen. Irgendwann schüchtern die langen Wörter einfach nicht mehr ein, denn irgendwann versteht man: Diese Studenten wissen wirklich nicht mehr als ich, sie haben nur gelernt, ihre Unwissenheit in Pseudo-Latein zu verpacken.

Als ich mit meinem Referat dran war, musste ich mir richtig Mühe geben, den Figuren keine schrägen Spitznamen zu verpassen, so wie ich es zu Hause immer mache. Ich habe mich selbst dabei ertappt, wie mein Kopf „Erec, Ritter des Artushofes“ durch „der Typ mit seinem Zwergproblem“ ersetzen wollte.

In den Niederlanden wurde mir oft genug gesagt, dass ich zu informell spreche. Da war es mir aber in den meisten Situation erlaubt, auch wenn die Dozenten manchmal geseufzt haben. In Deutschland traue ich mich nicht. Hier sind alle so unfassbar wissenschaftlich, fast elitär. Das passt irgendwie gar nicht zu der Feststellung, dass Germanistik ein Studium für die unverbesserlich Faulen und schrecklich Unmotivierten ist, aber es ist trotzdem so.


Ich habe bis jetzt aber jede Sitzung überstanden (inklusive Referat) und es geht mir gut. Der erste Monat war ganz schön schnell vorbei. Weniger als drei Monate übrig. Die Zeit läuft, halt sie auf…
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Zwarte Pieten gehören übrigens zum niederländischen Sinterklaas-Fest. Wenn ihr die Anspielung nicht versteht, es gibt einen Wikipedia-Artikel über diese Tradition. ;)
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