23.04.2014

Aus dem Versteck gekrochen

Heute hat mein Papa Geburtstag.

Das ist euch bestimmt völlig egal, aber ich dachte, ich fange mal mit einer erfreulichen Nachricht an.

Wie jetzt? Mich gibt es noch? Ja, scheint so. Es tut mir wirklich leid, dass ich mich nicht gemeldet habe und dass ich gleich auch wieder gehen muss. Es warten noch gefühlte drei Kilo Hausaufgaben auf mich, außerdem muss ich ganz dringend auf Klo.

Wieso ich nicht da war:

Am 31. Januar habe ich Hamburg verlassen, da mein Semester dort zu Ende war. Ich habe einige Zeit gebraucht, um mich von dem Schock zu erholen, weil ich am liebsten geblieben wäre und der Kontrast zum Leben in meiner Heimatstadt ziemlich groß war. Bis ich mich wieder daran gewöhnt hatte, dass meine Mama nur an manchen Tagen daran interessiert ist, ein richtiges Gespräch mit mir zu führen anstatt mir über ihre scheiternde Dissertation einen Vortrag zu halten, war schon ein Monat vergangen.

Mein Papa ist öfter im Ausland als zu Hause und macht gerne bescheuerte Witze, die immer darauf hinauslaufen, dass ich ihm gerne mit dem größten Kochlöffel, den wir haben, eine reinhauen würde. Mein Bruder redet ausschließlich über eins von zwei Themen und zwar entweder darüber, was er heute im Unterricht gelernt hat (immer Sprachwissenschaften), oder darüber, was er heute in seinem Computerspiel gemacht hat (immer irgendwelche Kobolde geköpft).

Nachdem ich vier Monate mehr oder weniger alleine gelebt habe, kann ich mit diesen Sachen nicht mehr so richtig umgehen. Ich ärgere mich ständig und streite mich öfter mit meiner Mama als vorhin – mit meinem Papa streite ich mich nie, weil er so gut wie nie da ist, und mit meinem Bruder habe ich mich in unserer Jugend schon so oft gestritten, dass ich es gar nicht mehr versuche. Blöderweise fange ich immer an zu weinen, wenn ich richtig sauer bin, und dann geht der Effekt meiner Wut verloren.

Meine Katze ist immer noch krank und es wird nur schlimmer. Meine Oma war im Krankenhaus und ist seitdem so wirr im Kopf, dass sie meine Geburtstagsparty verlassen hat, ohne sich von jemandem zu verabschieden – dabei musste sie von meiner Tante nach Hause gefahren werden. Sonst besteht sie darauf, dass mein Bruder und ich sie zum Abschied auf beide Wangen küssen und „Tschüss, Oma!“ sagen.

Es geht mir nicht besonders gut.

Kein Grund zur Panik, aber es ist nun mal so. Ich weise leicht depressive Züge auf, außerdem wurden bei mir Anämie und Vitamin-D-Defizit festgestellt, sodass ich heute meine Medikamente bei der Apotheke abholen durfte, und ich muss bis zum 30. April eine zwanzigseitige Hausarbeit einreichen, obwohl ich noch nicht mal angefangen habe zu schreiben. Die Deadline für diese Arbeit wurde schon einmal verschoben, nochmal kann ich wirklich nicht um Terminverlängerung bitten. Ich habe seit Januar kein Wort mehr zu Papier bekommen, das nicht mit meinen Uni-Aufgaben zu tun hatte, und ich habe noch nie in meinem Leben so oft wegen meiner akademischen Leistungen bzw. wegen meiner eigenen Unfähigkeit, mit den Aufgaben fertigzuwerden, weinen müssen.

Mir wurde mein ganzes Leben lang gesagt, dass ich überdurchschnittlich intelligent bin und es besonders weit schaffen werde. Mir wurde nie gesagt, dass an der Uni alle überdurchschnittlich intelligent sind und manche – wenn nicht sogar viele – Leute es weiter schaffen werden als ich. Demzufolge halte ich mich für einen Versager, wenn jemand etwas besser kann als ich. Es ist ein schreckliches Gefühl, sich selbst eingestehen zu müssen, dass man glaubt, nur geliebt werden zu dürfen, wenn man in der Schule gut abschneidet.

Im Moment habe ich Konzentrationsprobleme, Wortfindungsprobleme sowohl im Niederländischen als auch im Englischen und Deutschen, und Gedächtnisprobleme. Ich bin plötzlich zu einem sehr langsamen Leser geworden und vergesse ständig irgendwelche Termine oder Unterlagen, die ich für den Unterricht brauche. Ich schlafe zehn bis zwölf Stunden pro Nacht und bin drei Stunden nach dem Erwachen schon wieder müde. Ich habe den Spaß am Unterricht, am Musikmachen und sogar am Schreiben verloren.

Es schmerzt, das alles hinzuschreiben. Ich studiere Psychologie und weiß ganz genau, dass es noch nie funktioniert hat, die ganzen negativen Dinge im Leben aufzuschreiben, weil man sie dann immer wieder liest und denkt: „Genauso schlimm ist es – und genauso schlimm wird es auch bleiben.“

Positive Dinge zu benennen ist wichtig.

Ich habe Freunde. Ich wüsste wirklich nicht, wie ich es ohne sie aushalten würde. Wir sehen uns zwar nicht oft, weil wir keinen gemeinsamen Unterricht mehr haben, aber wir schreiben uns täglich, schicken uns lustige Fotos per Email und verabreden uns zum Kaffee. Am Samstag gehe ich auf eine Geburtstagsparty, wir gehen zusammen ins Kino (Captain America – The Winter Soldier, wir sind alle ganz superheldenverrückt) und ich freue mich wie wahnsinnig darauf, alle wiederzusehen und ihre Stimmen und unsere Insiderwitze zu hören.

Meine beste Freundin macht eine Therapie, weil sie eine Angststörung hat. Das ist zwar nicht positiv, aber sie redet mit mir darüber und auch wenn ich ihr nicht richtig helfen kann, beruhigt es mich. Ich bin froh darüber, dass sie mit mir redet, wenn es ihr schlecht geht, weil ich dadurch weiß, dass ich ihr wirklich wichtig bin. Ich wünsche mir natürlich, dass es ihr nicht schlecht geht, aber ich bin froh, dass wir nicht nur über blödes, triviales Zeug reden, sondern dass wir uns gegenseitig so ziemlich alles anvertrauen können.

Ich hatte Geburtstag und ich habe richtig tolle Geschenke bekommen, unter anderem die komplette Harry-Potter-Reihe auf Deutsch in einer der schönsten Ausgaben, die ich je gesehen habe.

Eine alte Freundin, die urplötzlich aus meinem Leben verschwand, ist zurückgekehrt und hat sich sehr lieb für ihr Verschwinden entschuldigt. Sie studiert auch Deutsch (zwar nicht an meiner Uni) und ich freue mich, dass ich diese Begeisterung für die deutsche Sprache und Kultur mit ihr teilen kann.

Ich habe in den letzten zwei Wochen zwei schöne, luftige Sommerkleidchen gekauft und das Wetter ist gerade so gut, dass ich sie auch tatsächlich tragen kann. Ich fühle mich in meinem Körper trotz Anämie und Vitamin-D-Defizit wohl.

Ich war im März auf dem Fall-Out-Boy-Konzert in Amsterdam. Es gehört eindeutig zu den besten Konzerten meines Lebens.

Dieser Blogeintrag beträgt jetzt (ohne diesen Satz) genau 1000 Wörter. Dabei muss ich immer noch auf Toilette.


Irgendwo im Februar wurde ich von Utopie getaggt, was ich völlig übersehen habe. Ich hole das irgendwann noch nach, das verspreche ich, jetzt muss ich allerdings wirklich wieder an die Arbeit. Ich wünsche euch schönes Wetter und schöne Träume!
__