03.09.2011

Alles Menschliche in einem Zug

Gesichter, die ich soweit ich mich erinnern kann noch nie gesehen habe, die mir trotzdem unglaublich bekannt vorkommen. Vielleicht auch nur, weil ich ihnen vier Stunden lang ins Gesicht geschaut habe. In meinem Kopf sind alle Mitfahrer Schauspieler und wir stecken mitten im Film – leider in einem stinklangweiligen. Nur der Soundtrack, Nena und Tokio Hotel, gefällt mir.

Während der Zugfahrt nach Zürich fiel mir auf, dass man im Zug eigentlich die Menschlichkeit in Kurzfassung zu sehen bekommt. Alle menschliche Eigenschaften passieren Revue.

Auf der Hinfahrt spielte der menschliche Intellekt die größte Rolle – oder eher der fehlende Intellekt. Das Beispiel schlechthin: Sitzreservierungen. Mein Papa und ich wussten genau, in welchem Zugabteil auf welchen Plätzen wir sitzen konnten, denn das steht auf dem Ticket. Jedoch konnten wir uns nicht hinsetzen; drei Jugendliche, Achtzehnjährige vielleicht, stellten in dem Moment eben dort ihre Taschen ab.
„Wir haben reserviert“, sagten wir möglichst freundlich. Sie schauten uns an, als hätten wir gesagt, wir kämen vom Mond. ‚Reserviert? Diese Plätze? Wo steht das denn? Oh wirklich? Haben wir auch eine Reservierung? Oh wirklich? Wo steht das denn? Ach so… Na toll, welcher Abteil ist das denn? Keine Ahnung… Na eben, wir setzen uns einfach hierhin, kommt schon in Ordnung, wenn hier andere sitzen wollen, gehen wir eben wieder weg!‘
Auf der Rückfahrt mussten mein Papa und ich über Rotterdam; wir stiegen in den Zug, auf dem „Rotterdam“ stand. Nach vielleicht zehn Minuten Fahrt fiel einem anderen Mitfahrenden auf, dass die elektronische Anzeige „nächster Bahnhof Zwolle“ zeigte, statt „Gouda“. ‚Oh mein Gott! Wir fahren doch nicht nach Zwolle? Nein, wir fahren nach Rotterdam, über Gouda. Ach so… Haha, zum Glück, denn ich muss ja gar nicht nach Zwolle.‘

Im Ernst, Leute. Es steht immer auf dem Zug und am Gleis wo der Zug hinfährt. Schaut doch besser mal nach, statt einfach einzusteigen. Und wirklich, Sitzreservierungen? Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass es tatsächlich Leute gibt, die noch nichts davon gehört haben.

Auf der Rückfahrt ging mir durch den Kopf, dass eine Zugfahrt anscheinend das Schlimmste in Menschen hervorruft. In einem der Züge saßen wir in dem Abteil, wo Leute auch ihr Fahrrad abstellen können. Es gibt dort nämlich diese Aufklappsitze, an die man das Fahrrad lehnen kann. Eine Frau stieg ein, samt Fahrrad, und zu gleicher Zeit setzte sich ein Typ in Anzug auf einen der Aufklappsitze – genau so, dass die Frau ihr Fahrrad nur mit ganz viel Mühe an die Wand lehnen konnte, denn drei Sitze weiter saß noch ein Typ, der sich nur ein bisschen zur Seite drehte und genervt mit den Augen rollte, als das Fahrrad ihn kurz anstieß.
Dabei war er grade falsch, denn Fahrräder sind in dem Abteil vorrangig. Doch nein, die beiden Herrn haben sich nicht bewogen. Und dazu wurde die arme Frau auch noch von drei Jugendlichen ausgelacht, als das Fahrrad fast umgekippt ist und sie sich geradezu dorthin katapultiert hat, um es abzufangen.
Kurz: komplett unhöflich.

Zum Glück gab es auch ein Pärchen, das offensichtlich ganz doll verliebt war, und sich die ganze Zeit geküsst hat. Das machte mir auf jeden Fall ein bisschen Hoffnung, dass die Menschheit nicht immer verdorben aus dem Zug kommen muss.

Schöne Träume!
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