24.10.2013

Uni überall

Der Schanzenpark trennt das Szeneviertel vom Stadtteil Rotherbaum – und diesem Stadtteil ist die große Ehre vorbehalten, das Univiertel zu sein. Von der Rothenbaumer Seite des Parks sind es nur zehn Gehminuten bis zum Von-Melle-Park, wo die Geisteswissenschaftler in ihrem Philosophenturm das Zepter schwingen. Wenn man sich in diesem Viertel voller Copyshops und Dönerbuden verirrt, können es auch mal dreißig Gehminuten werden (was eurer Berichterstatterin natürlich noch nie passiert ist).

Von-Melle-Park.
Der Campus sieht auf den ersten Blick nicht besonders groß aus. Ein paar Gebäude, eher kompakt gestaltet, nich allzu weit voneinander entfernt. In der Mitte befinden sich eine hübsche Grünfläche, in dieser Jahreszeit mit farbigen Herbstblättern übersät, und ein kleiner Teich, genauso herbstlich ausgestattet. Aus den Mensen strömen die herrlichen Düfte des sehr preiswerten Essens. Wer sich daran vorbei traut, zwängt sich in einen überfüllten Aufzug und steigt auf zu Macht und Wissen.

Der Philosophenturm.
Die Seminarräume des Germanistikinstituts befinden sich im dreizehnten Stock.

Eigentlich ganz gut, dass der Aufzug im zwölften Stock endet. Es gibt im Viertel unzählige Bäckereien, mindestens hundert Cafés, ein Dutzend Falafel- und Dönerläden, zwei bis zehn Eisdielen, einen Kiosk (oder auch fünf) und sogar einen Typen, der Backkartoffeln verkauft und dank der Unmengen von hungrigen Studenten vermutlich eine Million am Tag verdient. Die meisten Läden tragen irgendwo die Aufschrift „Uni“ – Uni-Buchhandlung, Uni-Copyshop, Uni-Pommesbude – und haben immer ein Studentenangebot. Vielleicht muss ich dem Fitnessstudio direkt gegenüber meinem Zimmer bald mal einen Besuch abstatten.

Oder ich besorge mir ein Fahrrad, denn hier wird fleißig gefahren – und zwar oft, schnell und nicht immer mit den nötigen Sicherheitsmaßnahmen. Ich lebe schon seit drei Wochen als Fußgänger und kann immer noch nicht so genau zwischen Bürgersteig und Fahrradweg unterscheiden. Außerdem scheinen die Radfahrer eher selten eine Klingel zu besitzen, geschweige denn sie zu benutzen. Hier wird man entweder überfahren oder angeschrien. Geht auch.

Papendamm - in dieser Straße befindet sich mein Zimmer.
So sieht das Leben momentan aus: in malerischen Herbstfarben gestrichen, duftend nach Kaffee und Mensaspaghetti, und wenn die Sonne scheint, ist der Philosophenturm gar nicht mal so hässlich. An dieses Leben könnte ich mich glatt gewöhnen.
__

14.10.2013

Schön entspannt nervös

Die Tür zur Damentoilette quietscht schrecklich, wenn sie aufgestoßen wird. Das heißt, sie quietscht in Endlosschleife, denn diese Toiletten befinden sich in unmittelbarer Nähe zu den großen Hörsälen im Erdgeschoss des Philosophenturms und sind also für sämtliche Geisteswissenschaften-Studentinnen die letzte Station vor der zweistündigen Vorlesung.

Ich wasche mir die Hände, trockne sie mit einem Papierhandtuch und begebe mich langsam zum Hörsaal. Dort wische ich mir nervös die Hände an der Hose ab, ehe ich mir einen Platz suche und meinen Notizblock aus der Tasche krame. Ich atme einmal tief durch und rede mir ein, dass ich ganz genau weiß, was gleich passieren wird.

Artus und die Ritter der Tafelrunde. Meine erste Vorlesung in Deutschland. In Wirklichkeit habe ich keine Ahnung, was auf mich zukommt.

Die Vorlesung läuft erstaunlich normal ab. Ich schlafe in der ersten Viertelstunde fast ein, weil der Dozent etwas Organisatorisches erklärt, das auf mich als Erasmus-Studentin nicht zutrifft. Danach erzählt er kurz, was er uns gerne beibringen möchte, und macht ein paar Witze, wofür ich ihm dankbar bin. Sobald wir uns dem eigentlichen Unterrichtsstoff widmen, stelle ich fest, dass da für mich nicht viel Neues dabei ist. Es ist ja auch nur die Einführung. Außerdem ist es schön entspannt, wenn ich nicht wie wahnsinnig mitschreiben muss.

Nach einer knappen Stunde legen wir eine zehnminütige Pause ein. Ich blicke mich verstohlen um und sehe, wie die meisten Studenten nach einem Snack greifen. Manche trinken einen Kaffee, manche verschwinden nach draußen, um eine zu rauchen. Der einzige Unterschied zu den Vorlesungen in Leiden, den ich bis jetzt entdecken kann, besteht darin, dass der Hörsaal einen Balkon hat, wo sich die Raucher häufen.

Eine Dreiviertelstunde später, laut Stundenplan fünfzehn Minuten zu früh, entlässt der Dozent uns in die Freiheit. Die Studenten klopfen Beifall auf die Tische – ich ziehe verwirrt die Augenbrauen hoch und dann fällt mir ein, dass mir dieser Brauch eigentlich bekannt ist. Ich bin sowieso eine, die den Applaus nach einer Vorlesung doof findet. Der Dozent macht doch nur seinen Job und ich klatsche ja auch nicht, wenn die Kassiererin meine Einkäufe erfolgreich gescannt hat. Das passt gerade gut, denn ich mache mich wenigstens nicht zum Affen, indem ich als Einzige in die Hände klatsche.


Viel gelernt habe ich heute nicht, dafür aber wichtige Erkenntnisse gewonnen: Vorlesungen in Deutschland unterscheiden sich kaum von denen zu Hause (und die Stühle im Hörsaal sind bequemer).
__ 

07.10.2013

Darf ich vorstellen: Hamburg

Es tut mir echt leid, dass ich mich solange nicht gemeldet hab! Ich hatte die ganze Zeit zu tun, bin zwischendurch nach Hamburg gezogen, dann hatte ich plötzlich kein Zimmer in Hamburg, dann herrschte erst einmal das Chaos, dann gab’s ein Zimmer, dann musste ich wieder umziehen… Jetzt bin ich (hoffentlich) zum letzten Mal umgezogen und kann mich wieder anderen Sachen widmen, wie zum Beispiel meinem Blog.

Ich habe jetzt für meine Mitstudenten in den Niederlanden auch einen Blog, auf der Webseite des Studienvereins. Den Eintrag hier (außer diesen zwei Absätzen) habe ich für den Blog geschrieben, aber das macht ja nichts. Die Einträge für den Blog da kriegt ihr einfach auch, dann gibt’s vielleicht etwas regelmäßiger Lesestoff für euch. :)

__

Wer sich Hamburg aus dem Süden nähert, findet sich zuerst in einem Labyrinth aus Kränen und Containern wieder. Man fährt über die Hochstraße, die einen sicher zur Stadt führt, und bemerkt irgendwann, dass die Kräne den Gebäuden gewichen sind. Gebäuden aus Stahl und Glas, einem Industriegebiet. Dann fährt man unter einer Brücke hindurch und siehe: Man ist in Altona.

Links und rechts stehen die Altbauhäuser. Meistens vier oder fünf Stockwerke, Stufen, die zur Eingangstür führen. Drinnen das große Treppenhaus, die hohen Decken und die Holzböden, die bei jedem noch so leisen Schritt aufstöhnen, als hätte man ihnen mit einer Axt gedroht. Hohe Fenster, kleine Balkons, heller Putz.
  


Graffiti.

Sämtliche Gebäude im Bezirk Altona, im westlichen Teil von Hamburg, scheinen getaggt zu sein – mit Graffiti vollgesprüht. Wer durchs Schanzenviertel, im östlichen Altona, läuft, sieht zunächst nur die aufgemalten Wörter, unleserlich, wie Geheimsprache. Ob Altbau, renovierter Altbau oder wie Altbau aussehender Neubau, überall ziert das Graffiti die Backsteinhäuser. Hie und da entdeckt ein aufmerksamer Tourist ein richtiges Bild, ein Piece. Außer die Neuankömmlinge schaut keiner hin. Jeder Hauseingang ist bemalt und mit Flyern zugeklebt.

Respektlosigkeit?
Künstlerische Freiheit?
Langeweile?
Vandalismus?
Modernisierung?
Individualität?


Es gibt keine großen Ladenketten in diesem Teil von Hamburg. Wer bei H&M eine Shoppingtour einlegen möchte, muss zum Jungfernstieg; an der Alster in der Altstadt befinden sich die Markenläden. Nicht nur H&M, sondern auch die Geschäfte für Leute, die sich mehr leisten können: Gucci, Hugo Boss, Bulgari, Louis Vuitton. Hier befindet sich Hamburgs 5th Avenue.

Altona ist Hamburgs SoHo, zumindest das Schanzenviertel und Sankt Pauli sind es. Alternativläden, freischaffende Künstler, Schneider und Tischler, mutige Einzelpersonen, die einen Waschsalon, ein Café oder einen Musikladen betreiben. Wie zusammengewürfelt, nur vom überall anwesenden Graffiti zusammengehalten.


Nicht umsonst  ist das hier das Studentenviertel, das Szenenviertel. Hier gibt es die Cafés, die Bars, die Clubs, die Toleranz für alles Denkbare. Im Supermarkt steht ein Punker mit blauem Irokesenschnitt, er trägt Netzstrümpfe in seinen regenbogenfarbenen Dr. Martens, karierte Shorts und eine Jacke voller Buttons. Er fragt einen Mitarbeiter, der eindeutig türkischer Herkunft ist, ob er sich eine Tomate aus einer Viererpackung nehmen darf, da die einzeln verkauften Tomaten alle sind. Der Mitarbeiter kratzt sich am Kopf, aber verzieht kein einziges Mal das Gesicht. Er ist bestimmt Ausgeflippteres gewohnt.


Vier Monate in Hamburg-Altona?
Kriege ich hin.
__